Die Zeugen Jehovas deuteten die Verfolgung durch das Regime als eine ihnen auferlegte Prüfung, in der sie ihre Glaubenstreue zu beweisen hatten. Insofern war der Widerstand gegen das NS-Regime für sie ein Akt des Bekenntnisses. In der „Briefkastenaktion 1936“ wurden Tausende von Flugblättern in deutschen Städten verteilt, um gegen die Einschränkung der Glaubensfreiheit zu protestieren und die Öffentlichkeit über den verbrecherischen Charakter des Regimes aufzuklären. Gisela Tilmanns erinnert sich: „Ich habe zusammen mit meinem Vater die Flugblätter auf der Mont-Cenis-Straße verteilt. Als alles vorbei war, waren wir froh, dass sich nie per Zufall eine Haustür geöffnet hatte.“ Trotzdem gerieten auch ihre Eltern ins Visier der Gestapo und wurden 1936 während einer landesweiten Verhaftungswelle inhaftiert.
Vielen Zeugen Jehovas blieb nach der „Schutzhaft“ die Freiheit verwährt, die sie sich mit einer schriftlichen „Erklärung“, dem Glauben abzuschwören, hätten sichern können. Umgehend und ohne erneute Verhandlung wurden sie direkt in verschiedene Konzentrationslager überstellt, wo sie als „eigenständige Häftlingskategorie“ mit dem „lila Winkel“ gekennzeichnet wurden. So erging es auch dem Herner Invaliden Karl Schurstein. Dem Polizeigefängnis Bochum folgten die Stationen Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau. Trotz seiner körperlichen Behinderung bewältigte er den brutalen Lageralltag und schmuggelte in seinem Holzbein sogar verbotene Glaubensschriften. Am 26. Februar 1942 deportierte ihn die SS von Dachau aus in einem Invalidentransport zum Schloss Hartheim in Österreich, wo er als Opfer des NS-Euthanasieprogramms vergast wurde.1944 wurden die Gottholds aufgrund der Verbreitung des „Wachtturms“ erneut inhaftiert. Im Saum ihrer Unterröcke, die von Gisela Tillmanns zu Hause gewaschen wurden, schickte Helene Gotthold auf zerknüllten Papierröllchen Botschaften aus dem Gefängnis an ihre Familie. „Wir sind geachtet wie Schlachtschafe. Wenn es des Herrn Wille ist, so kann er es abwenden. Lässt er es aber zu, so wollen wir es mit seiner Hilfe geduldig ertragen. Ein Zurück gibt es nicht mehr“, schrieb sie. Mit sieben anderen Angeklagten wurden die Gottholds ins Gefängnis nach Berlin-Plötzensee überstellt. Dort machte ihnen die NS-Justiz vor dem Volksgerichtshof einen unerbittlichen Prozess, der mit sechs Todesurteilen endete. Auch Helene Gotthold wurde wegen „Wehrkraftzersetzung in Verbindung mit landesverräterischer Begünstigung des Feindes“ zum Tode verurteilt und am 8. Dezember 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. In einem Abschiedsbrief an ihre Kinder heißt es: „Ich weiß, dass für Euch der Kampf nun weiter geht, aber ich habe bald meinen Kampf vollendet. In meinem Herzen ist Frieden und Ruhe. Seine Gebote zu halten, ist nicht schwer.“