Seit 2005 besteht in Herne das lokale Erinnerungsprojekt „Nahtstellen, fühlbar, hier…“. Mit zwölf Gedenktafeln im Stadtgebiet erinnert es an die Geschichte des jüdischen Lebens, das durch die Shoah vernichtet wurde. Am Freitag, 7. November 2025, wurde eine weitere Tafel der Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei war auch eine der letzten Überlebenden der Shoah, Hanneke Schmitz, anwesend.
Die Tafel an der Bahnhofstraße 111 erinnert an ihre Familie mit dem Nachnamen Elias. Ihre Großeltern Max und Helene Elias führten hier seit 1912 ein Möbelgeschäft, oberhalb der Verkaufsräume wohnten sie mit ihren Kindern Erich, Lotte und Gerda. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 begann die wirtschaftliche Drangsalierung der Familie: Ihr Mietvertrag für das Geschäft wurde nicht verlängert, auch einen anderen Laden konnte die Familie nicht anmieten – obwohl es genügend Leerstand gab. Sie wanderten im August 1933 nach Rotterdam aus, wo sie einen Großhandel für Toilettenartikel aufbauten. Mit der Besetzung der Niederlande durch die Wehrmacht 1940 holte sie der Nationalsozialismus wieder ein. Max Elias starb 1940 bei der Bombardierung Rotterdams durch die deutsche Luftwaffe, seine Frau Helene wurde 1943 ins Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort in den Gaskammern ermordet.
Von den drei Kindern überlebten nur zwei den Holocaust. Lotte Elias wurde 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet. „Lotte und ihr Mann Alfred wollten nicht untertauchen. Vor einem Arbeitseinsatz in Polen habe ich keine Angst, ich habe immer gearbeitet, hatte sie zu ihrer Schwester Gerda gesagt. Ob das ernst gemeint oder Ausdruck von Verzweiflung war, wissen wir nicht“, erzählte Hanneke Schmitz in ihrer Rede.
Erich tauchte mit seiner Frau und seinem Sohn 1943 dank niederländischer Unterstützer unter und die Familie überlebte. Gerda ging mit ihrem späteren Mann Fritz Günzburger nach Amsterdam und dort in den antifaschistischen Widerstand. Sie überlebten im Untergrund und kehrten mit ihren Kindern nach Herne zurück. Ihre Tochter Hanneke Schmitz (geborene Elias) ist eine der letzten Überlebenden der Shoah.
„Seitdem die Tafeln hier in Herne stehen, merke ich, dass sich Menschen bewusst mit den Texten befassen. Das gilt generationsübergreifend. Die Menschen werden nachdenklich und kommen miteinander ins Gespräch. Ich finde es wichtig, dass wir Erinnerung nicht nur buchstabieren können, sondern in Herne auch leben“, erklärte Stadtrat Andreas Merkendorf.
Zusammen mit ihrem Mann Peter ist Hanneke Schmitz seit Jahren eine wichtige Stimme des Erinnerns und Gedenkens in Herne. Als Zeitzeugin hat sie sich auch nach den Ereignissen am 7. Oktober 2021, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel mit 1.182 jüdischen Opfern, für den jüdisch-muslimischen Dialog eingesetzt: gegen Vorurteile und Vorverurteilungen.
Die Gedenktafel für die Familie Elias wurde von Hanneke und Peter Schmitz in Zusammenarbeit mit der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen erstellt. In einem gemeinsamen Workshop erarbeitete man den Text und fuhr sogar in die Niederlande, um dort die Lebensorte der Familie Günzburger wie die frühere Wohnung in der Plantage Kerklaan in Amsterdam zu besuchen. Zur Einweihung der Gedenktafel kamen auch Nachkommen der Familie Elias aus Berlin und den Niederlanden nach Herne.
Salih Davulcu von der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen dankte in seiner Rede Hanneke Schmitz: „Sie hat zusammen mit ihrem Mann Peter die Geschichte ihrer Familie mit uns geteilt. Ihre persönlichen Erinnerungen haben uns tief bewegt. Sie haben Zahlen in Namen und Geschichte in Schicksale verwandelt.“
Die Zusammenarbeit mit der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen setzt ein wichtiges gesellschaftspolitisches Zeichen des Dialoges. Die Geschichte der Familie Elias/Günzburger ist Teil der Herner Geschichte. Mit dieser neuen Gedenktafel wird nunmehr würdig an sie erinnert. „Darüber hinaus wird erneut deutlich: Gedenken findet nicht irgendwo im gestern statt, sondern hat auch immer eine besondere Bedeutung in unserer politischen und gesellschaftlichen Gegenwart“, betonte Stadthistoriker Ralf Piorr.
Alle bisherigen Gedenktafeln und Standorte des Projekts sind über das Geoportal der Stadt Herne unter der Rubrik Geschichtliches abrufbar.