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Gegen das Vergessen

„Homies with Skillz“ bei der Gedenkfeier zur Reichspogromnacht in der Filmwelt Herne, 5. November 2008.

Sie sehen aus, wie Rapper eben so aussehen: Schirmmütze, Kapuzenpullis, Turnschuhe. Die jungen Mitglieder der Wanne-Eickeler Band „Homies with Skillz" stehen auf der Bühne in der Filmwelt und singen von der Gegenwart. Im Rhythmus der Musik purzeln die Worte aus ihren Mündern. Es ist der ungewöhnliche Auftakt einer Gedenkveranstaltung für die Verfolgten des Naziregimes. 350 meist jugendliche Zuhörer sitzen in dem überfüllten Kinosaal. Still sind sie und mit ihren Gedanken ganz bei jenen Menschen, die dem Terror der Jahre 1933 bis 1945 zum Opfer gefallen sind.

„Wir wollen die millionenfachen Opfer des Nationalsozialismus nicht vergessen. Wir wollen heute ganz bewusst an diese Zeit und das Leid der Menschen erinnern.“*

Bemerkenswerte Resonanz. Ein Kommentar.

Der Historiker Ralf Piorr führt durch das rund anderthalbstündige Programm. Es steht für eine neue Erinnerungskultur. Die Rituale der Vergangenheit, sagt er, die Kranzniederlegungen vor einer Handvoll schweigender Menschen, sie hätten ihre Berechtigung gehabt. Die Stadt und Piorr selbst wollten das nicht degradieren, seit 2007 aber gingen sie neue Wege. „Es ist wichtig, moderne Formen der Erinnerung zu gestalten", sagt Ralf Piorr. Sie bräuchten einen engen Bezug zur Lebenswirklichkeit, um auch jene Menschen zu erreichen, um die es gehen müsse, die jungen.

Schüler der Königin-Luisen-Hauptschule und der Historiker Ralf Piorr bei der Gedenkveranstaltung.

In der Filmwelt stehen vor allem Schülerinnen und Schüler auf der Bühne. Die Formen der Erinnerung an Verbrechen, Tod und Leid haben sie selbst ausgewählt. Sascha Rutzen und Till Weuder zum Beispiel, die vor nicht allzu langer Zeit die Jüdin Liesel Spencer (85) in den USA besucht haben, stellen sich einem Interview. Liesel Spencer hieß früher Kaufmann, im Alter von 15 Jahren musste sie gemeinsam mit ihrem Bruder vor den Nazis aus Röhlinghausen fliehen. Ihre Eltern wurden 1942 nach Riga deportiert und ermordet. Sascha Rutzen und Till Weuder erzählen heute von ihren Begegnungen mit der Zeitzeugin, von Herzlichkeit und einer äußerst lebendigen Freundschaft.

„Auch in unserer Stadt wurden zahlreiche jüdische Menschen gequält. Viele jüdische Familien wurden von Herne aus deportiert und starben in den Gaskammern.“*

Die meisten Beiträge haben Schüler der Königin-Luisen-Hauptschule gestaltet. Sie zitieren aus dem Talmud, zeigen Bilder von Mahn- und Gedenkstätten, spielen eine Szene aus dem Jugendbuch „Radikal", thematisieren den Rechtsradikalismus von heute und das Leugnen von Verantwortung. Sie tun dies respektvoll, aufmerksam, berührend.

„Auch in Herne gab es Nazis, die Menschen dem Tod preisgaben. Und es gab Leute wie Du und ich, die das Elend und den Terror sahen und sich überlegen mussten, ob sie etwas dagegen tun konnten oder wollten. Viele Menschen schwiegen aus Angst, aber es gab auch jene, die laut und deutlich Nein sagten. Wir wollen, dass Terror nie wieder geschieht. Wir wollen jetzt Nein sagen zu rechter Gewalt, wir wollen erinnern und mahnen, deshalb sind wir hier.“*

(*) Die kursiv gesetzten Passagen stammen aus der Rede des Oberbürgermeister Horst Schiereck.


Rituale sind nicht schlecht, nicht zwangsläufig. Das gilt auch für die Erinnerungskultur. Und doch: Die sich immer und immer wiederholenden Formen des Gedenkens bergen eine Gefahr. Mitunter werden sie als bekannt abgespeichert. Im günstigen Fall folgt man ihnen blind, im ungünstigen klinkt man sich aus.

Die von Schülern gestaltete Gedenkveranstaltung hat es geschafft, junge Menschen dafür zu interessieren, die Erinnerung an Völkermord und Naziterror wachzuhalten. Sie macht Jugendliche zu Handelnden. Die Resonanz ist bemerkenswert.

Und sie zeigt: Der von der Stadt eingeschlagene Weg ist richtig.


Texte: Kai Wiedermann, WAZ-Herne, 6. November 2008
Fotos: Winfried Labus
2017-04-18